Andreas Weiß, Revoluzzer – Häftling – Wegbereiter. Das Leben des Tiengener Apothekers Daniel Heinrich Saul
Andreas Weiß, Revoluzzer – Häftling – Wegbereiter. Das Leben des Tiengener Apothekers Daniel Heinrich Saul (1809–1874), 204 Seiten, 25 Abb., Kunstverlag Fink, 2023, ISBN 978-3-95976-410-0, 12,50 €
Andreas Weiß (*1971), der in Waldshut aufgewachsen ist, studierte Geschichte und Volkskunde. Nach seinem Studium betätigte er sich am Museum Ritterhaus in Offenburg, beim Kulturamt der Stadt Waldshut-Tiengen, beim Stadtarchiv Rheinfelden / Baden, bei der LEADER-Aktionsgruppe Südschwarzwald, beim Kreismuseums Wewelsburg (Kreis Paderborn) und war bis 2023 drei Jahre lang Leiter des Freilichtmuseums Neuhausen ob Eck. Er verfasste zahlreiche Artikel zur Geschichte des Hochrheins, zu deutsch-schweizerischen Kooperation und beteiligte sich an der dreibändigen Geschichte des Stadt Waldshut.
Schon seit seiner Magisterarbeit (1998) beschäftigte er sich immer wieder mit dem Verlauf der badischen Revolution am Hochrhein. Dabei fiel ihm die Beteiligung des Tiengener Apothekers Daniel Heinrich Saul ((1809 – 1874) auf. Weiß stellt in der Einführung zu seinem Buch klar, dass „Saul keine Berühmtheit der Revolution (ist)“. Saul hatte auch keinerlei eigene Aufzeichnungen hinterlassen. Akribisch begann Weiß mit seiner Spurensuche. Im Offenburger Stadtarchiv stieß er überraschend auf das „Erinnerungsalbum“ von Lina Venator, der Enkelin Sauls, das ihm zu einer wichtigen Quelle wurde.
Wer wie der Rezensent einige Biographien veröffentlichte, weiß um die detektivische Kleinarbeit, aber auch die große Freude, wenn sich aus Puzzeln eines Lebens, allmählich das Bild einer Persönlichkeit herauskristallisiert. Mit dieser spürbaren Freude am Entdecken hebt Weiß den bis dato unbekannten Schatz um das Leben Sauls, wenngleich einige Leerstellen und weiße Flecken in seiner Biographie bleiben (müssen). 562 Anmerkungen legen beredtes Zeugnis seiner Arbeit ab, wenngleich sie etwas klein gedruckt wurden. Ein ausführliches Quellenverzeichnis, ein Namens- und Ortsregister, sowie Kartenmaterial und Fotos ergänzen das Buch mit wichtigen Verweisen.
Wie gelangt der bürgerlich wohl situierte Apotheker in die Revolutionswirren – warum hat er sich ab einem bestimmten Moment radikalisiert? Diesen Fragen geht Weiß akribisch und nach dem ausführlichen Studium von Archivmaterial nach. Saul beteiligt sich am Zug einer, vor allem von Waldshuter Revolutionären im Juni 1849 angeführten Exekutionsmannschaft ins nahe gelegene Oberalpfen, das sich nicht nur der angeordneten Volksbewaffnung verweigerte, „sondern auch der alten großherzoglichen Regierung treu bleiben wollte“. Die geplante Strafaktion endete wie das Hornberger Schießen mit dem ergebnislosen Abzug der Truppen nach zwei Tagen. Saul agierte bei der Aktion mäßigend, doch alleine seine Teilnahme an dieser ungesetzlichen Maßnahme sollte für ihn gravierende Folgen haben. Angeführt wurde die Truppe vom 27-jährigen Geometer Ferdinand Herzog, einem verwandten Vorfahren des Rezensenten. Im Familienarchiv wird eine Handschrift bewahrt, die u.a. revolutionäre Liedtexte von 1848 enthält. Das Wirken des Zivilkommissärs Herzog findet sich bei Weiß gut dokumentiert. Über die gerichtlichen Untersuchungen gegen die Waldshuter Revolutionäre von 1849 schrieb bereits ausführlich Gisela Tröndle (1955).
(Nur) in den Archiven schlummerten auch die Verhörprotokolle des Tiengeners Saul sowie die Prozessunterlagen zu seiner Verurteilung zu einer zweijährigen Festungshaft. In Tiengen blieb die Wahl Heckers in die Paulskirche folgenlos, durch das Städtchen zogen die Freischaren von Weißhaar und Sigel, retteten sich die Revolutionäre 1849 danach bei Jestetten in die Schweiz. Lange Besatzungszeiten folgten.
Oft enden Biographien von Revolutionären mit dem Ende der Revolution – doch Weiß geht beharrlich dem weiteren Leben Sauls nach. Saul engagiert sich im Gemeinderat, wird u.a. „Wegbereiter“ der Tiengener Wasserversorgung und gehört zu den Initiatoren der Freiwilligen Feuerwehr.
Ein sehr lesenswertes und spannend zu lesendes Buch, das einen Innenblick in das Leben eines „bürgerlichen Revolutionärs“ gewährt, dessen Lebens-Entwicklung für etliche Biographien in jener Zeit symptomatisch gewesen sein dürfte.
Seit letztem Jahr ist Weiß Leiter des Markgräfler Museums in Müllheim und trat dort die Nachfolge von Jan Merk an, der Leiter des Dreiländermuseums in Lörrach wurde. An seinem neuen Wirkungsort trifft Andreas Weiß im Blankenhorn-Palais am historischen Marktplatz wieder auf einen Schauplatz der 48-er Revolution – vom Balkon des heutigen Gasthauses Stadthaus ganz in der Nähe des Museums rief am 23. September 1848 Gustav Struve die deutsche Republik aus…
Hubert Matt-Willmatt